Schraubensalat

Schraubensalat

                               Paperclay, schwarz brennend;   Metallschrauben und -krampen                                     36 cm (max.) x 29 cm (max.) (B x H)                 2020   

Abstrakte Kunst, so wird gerne behauptet, öffnet neue Wege im Gehirn. Was berechtigt zu solch einer Annahme? Eine der Begründungen für diese Behauptung findet sich in den Arbeiten der abstrakten Kunst selbst. Die MalerInnen und BildhauerInnen der abstrakten Kunst befreien sich von der Darstellung der realen Welt bzw. deren Gegenstände. Dies gilt schon für deren allersten VertreterInnen wie af Klint oder Kandinsky. Diese Abkehr vom Gegenständlichen eröffnet den VertreterInnen der abstrakten Kunstrichtung die Möglichkeit, ihre inneren Welten darzustellen. Unsere Innenwelten sind wesentlich facettenreicher als die mit den Augen wahrnehmbare Außenwelt. Deshalb ist es gerade in Zeiten von Corona mehr als notwendig, gerade die abstrakte  Kunst nicht einfach wegzuschließen. Gerade in Coronazeiten tut ein Blick in unsere Innenwelten Not. Dieser Blog ist unter anderem auch aus solch einer Motivation entstanden. Kunst kann, was unser Innenleben anbelangt, ein mögliches Therapeutikum für die Seele sein. Dieser Blog ist hoffentlich ein Mosaikstein raus aus der Nichtexistenz von Kunst in unserem öffentlichen Leben. 

 

   Kunst liebt es, das Unübliche zu denken. Ganz besonders gilt dies für abstrakte Kunstwerke. Dieser Gedanke  lässt sich sehr bildhaft erläutern an der für diesen Blog ausgewählten Wandskulptur. Sie trägt den Titel Schraubensalat. Dieser Titel sagt alles oder nichts. Die Künstlerin, B.Chr.K.Barten, lehnt es ab, ihrer Arbeit durch einen konkreten Titel eine wie auch immer ausgerichtete Bedeutung bei zu geben. Diese Aufgabe bleibt den BetrachterInnen überlassen. 

 

   Warum aber ist diese Wandskulptur besonders gut dazu geeignet, Ideen zu entwickeln. Welche Bauelemente und Einzelbestandteile prädestinieren sie dazu, die Gedanken neue Wege ausloten zu lassen? Neben scheinbar banalen Elementen wie Schrauben, die mit ihren  Kreuzschraubenköpfen aus Tonröhren rauslugen, findet sich nur eine auf den ersten Blick ebenfalls simple Platte, auf der die genannten Elemente aufgearbeitet sind. Wahrlich nicht aufregend. Warum lässt man den Blick nach diesem Ersteindruck dann nicht einfach weiter wandern, egal  wohin? Was bringt einen dazu, den Blick nicht einfach abzuwenden?

 

   Vor allem liegt dies an dem Widerspruch zwischen dem Material, das man zu sehen glaubt und der Vorstellung, was Kunst so üblicherweise ausmacht. Irgendwo wird man bei der Betrachtung der Wandskulptur gedanklich bewegt von so etwas wie einer Rostanmutung. Wie erschafft die Künstlerin diese Idee von etwas Rostigem, Verrostendem? Da man beim Betrachten ihrer Werke in ihrem Atelier weiß, dass das Grundmaterial für ihre Arbeiten Ton ist, spürt man automatisch einen Widerspruch. Ton rostet nicht. Warum glaubt man dann, das Gegenteil zu sehen? Die Wirkung entsteht aus mehreren Gründen. Eine Erklärung für diesen Eindruck gibt die Grundplatte.  Sie ist extrem dünn ausgewalzt. Die Ränder biegen sich zudem teilweise leicht hoch. Keramik, das weiß man, kann man nicht biegen. Man denkt bei dieser Platte daher eher an ein dünnes Blech als an so etwas wie eine Fliese. Die Ränder dieses scheinbaren Blechs ist zusätzlich ausgefranst und sehr unregelmäßig geformt. Wenn man stark verrostete, dünne Bleche schon einmal gesehen hat, kommt diese Erinnerung beim Betrachten automatisch hoch. Bei näherem Hinsehen ist auch die Oberfläche dieser Platte leicht unregelmäßig strukturiert. Ein Grund mehr, nicht an eine glatte, glänzende Keramikoberfläche zu denken. 

 

   Die Keramikrollen, aus denen die Schraubenköpfe rausschauen, sind ebenfalls nicht saubere, ordentliche Röhren. Ihre Ränder sind nicht glatt. Sie sind zum Teil verbogen und die Enden sind unordentlich ausgefranst. Zusätzlich liegen sie scheinbar mehr oder weniger zufällig unordentlich über- und untereinander, sozusagen einfach hingeworfen, wenn nicht sogar weggeworfen. Die unaufgeräumte Ecke eines Schrottplatzes könnte einem  beim Betrachten in den Sinn kommen. Dadurch gelangen die Gedanken einmal mehr eher zu Metall als zu Keramik.

 

   Natürlich tragen auch die Schraubenenden, die aus den Röhren herausragen, zu diesem Eindruck bei. Durch das Brennen erhalten die Schrauben eine Patina, die ihnen jeden Glanz nimmt und dadurch erneut die Grundstimmung des Vergänglichen verstärkt.

 

   Diese Anmutung von verrostendem und vergänglichem Metall wird natürlich auch durch die eingesetzten Glasurfarben getragen.. Nichts erinnert bei dieser Wahl der Glasurfarbe und deren Auftrag an glänzende Keramik, alles aber an rostiges Metall. Der geschickte Einsatz verschiedener Brauntöne, die unregelmäßig ineinander verlaufen,  unterstützt diese Vorstellung von rostigem Metall noch, denn Metall rostet bekanntermaßen nicht gleichmäßig auf der ganzen Fläche. 

 

   Ist man sich als BetrachterIn dieses Widerspruchs zwischen tatsächlich eingesetzten Material und optischem Eindruck bewusst, ist die Neugier geweckt. Nun schaut man genauer hin, weil man wissen möchte, wie die Künstlerin einen an der Nase herumführt. Es ist ähnlich, wie bei einem Zaubertrick, wo man auch zu gerne wissen möchte, wie der Trick funktioniert. So ist man durch diese Wandskulptur ganz wörtlich verzaubert. Was mehr kann Kunst erreichen?

   

   Eine nicht unwesesentliche Bedeutung bei der Wirkung dieser Wandskulptur hat der Lichteinfall. Hat man vielstündigen Tageslichteinfall, so verändert sich die Form der Skulptur im Laufe des Tages in fließenden Veränderungen. Durch die dritte Dimension nimmt der Schattenwurf Einfluss auf die bildnerische Gesamtkomposition. Auch die Farbwirkung der eingesetzten Glasurfarben verändert sich deutlich im Laufe eines Tages, v.a. wenn das Sonnenlicht das Relief von morgens bis abends erreicht. Dass Licht ein Kunstwerk verändert, ist natürlich eine Binse. Besonders auffällig ist dieser Effekt jedoch gerade bei dieser Arbeit, da diese durch den Verfremdungseffekt der Rostanmutung  BetrachterInnen ohnehin tendenziell irritiert. 

 

   Insgesamt geht durch die Summe der Irritationen von diesem Schraubensalat etwas Geheimnisvolles aus, das den Blick immer wieder anzieht, jedenfalls dann, wenn man sich einmal hat irritieren lassen. Dazu bedarf es nur ein ganz klein wenig Zeit, die man für die erste Betrachtung hergeben muss. Dann ist es vorbei mit völligem Desinteresse oder Gleichgültigkeit. 

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