Zen

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   Paperclay, schwarz brennend; Metallteile     31 cm (max.) x 29 cm( max.) (B x H)              2020

 Bei der Betrachtung abstrakter Kunstwerke hilft es wenig, nach deren Sinn und Zweck zu fragen, denn die  Auseinandersetzung damit läuft vor allem auf  assoziativ emotionaler Ebene ab.

 

   Abstrakte Kunst muss daher, mehr noch als jede andere Variante der bildenden Kunst, den Blick durch Form, Farbe, Material und Textur auf sich ziehen und dabei auffordern, mit den Augen in dem Werk herumzuspazieren. Gute Kunst macht neugierig. Die einzelnen Elemente, die Strukturen und Farben sorgen dafür, dass wir uns auf die Suche nach etwas begeben. Man weiß nicht genau, was das Gesuchte sein könnte, aber man hat das unbedingte Gefühl, dass man etwas finden wird. Natürlich handelt es sich dabei am wenigsten um Konkretes. Vielmehr ist das innere Ich auf der Suche nach einem emotionalen Komplementär im Kunstwerk. Wenn die Seele reagiert, möchte man gerne wissen, warum. Also beginnt man  die Suche.

 

   Die Entdeckung einer emotionalen Übereinstimmung kann die Betrachtung von Kunst richtig spannend machen. Man muss für diese innere Schnitzeljagd eigentlich nur eine Voraussetzung mitbringen: Zeit. Die Beschäftigung mit abstrakter Kunst ist keine Sache für den lärmenden Videoclip mit rasanten Schnitt- und Bildfolgen oder einen dreißig Sekunden dauernden Reel auf TikTok oder Instagram.

 

    Neurobiologen glauben herausgefunden zu haben, dass unser Gehirn sich im Wissens- und emotionalen Bereich besser erinnert, wenn das Erlernen mit Mühe verbunden war. Was uns keine Anstrengung abverlangt hat, gerät schnell in Vergessenheit. Dieser Tatbestand hilft die Faszination zu verstehen, die von abstrakter Kunst ausgeht. Die Auseinandersetzung damit bereitet Mühe, die wir einerseits scheuen, andererseits spornt sie uns aber auch an.

 

   Die  gezeigte Wandskulptur erfüllt einige der geforderten Voraussetzungen, womit wir bei der Betrachtung dieses Reliefs sind. Eigentlich ist nicht besonders viel Spektakuläres zu sehen, wäre da nicht dieses irritierende gitterartige Element, das den Blick einfängt. Das ist kein Ton; also ein Fremdling! Oder doch keiner? Wir erinnern natürlich Draht aus unserer Erfahrung. Was hat dieses Drahtnetz auf einem Keramikrelief zu suchen? Und schon folgen die nächsten Fragen. Geht das überhaupt? Kann man Draht in einem Keramikofen mit brennen? Hält der das überhaupt aus? Wie bekommt man die Glasurfarben darauf?  Allein die handwerklichen Aspekte und Erfahrungen lassen uns diese Arbeit intensiver betrachten, und wir verweilen länger davor. Da man sich nun einmal mit einem Bauteil der Wandskulptur beschäftigt, kann man auch das gesamte Werk einer näheren Betrachtung unterziehen. Man entdeckt die individuellen Ausformungen der Röhren und deren Farbgebung. Nun schaut man sich diese Elemente einzeln an. Dabei stellt man natürlich auch fest, dass z.B. der Trägerplatte durch Spachteln von Tonschlicker ganz gezielt Struktur gegeben wurde. Die Betrachtung der beiden senkrechten, grün schimmernden Streifen lässt einen unwillkürlich einige Schritte zurücktreten, um einen Gesamteindruck zu gewinnen. Dann erspürt man, dass von der Gesamtkomposition dieses Reliefs eine bemerkenswerte Ruhe, ja, Ausgewogenheit, eine innere Stabilität, ausgeht. Man kann die Gesamtwirkung etwa vergleichen mit dem ostasiatischen Tempelbau. Solche Gebäude kennt man von Bildern. Sie weisen ganz ähnliche Strukturelemente auf. Auch Assoziationen an minimalistische japanische Gärten sind nicht abwegig. So kann man dieser Wandskulptur  lauter neugierige Fragen stellen, man kann aber auch davor verweilen, um die Ausstrahlung dieser Arbeit auf sich wirken zu lassen und, je nach Gemütsverfassung, auch eine Form der meditativen Entspannung erfahren. Je länger man vor diesem Wandbild verweilt, desto stärker wird dessen Sogwirkung in die eine oder andere Richtung. Nur eines verspürt man nicht - Langeweile. Was will man mehr? 

 

   Für die meisten BetrachterInnen liegt der Ausgangspunkt der Faszination, die von dieser Wandskulptur ausgeht,  vermutlich im Materialmix, mit dem die Künstlerin ein z.T. irritierendes Spannungsmoment aufbaut. Erstaunlicherweise braucht es gar keine Antworten, um sich der Faszination abstrakter Kunst hinzugeben, und das trifft eben auch auf das gezeigte Werk von Brigitte Barten zu. Die assoziativ emotionale Seele einer Betrachterin/ eines Betrachters hat längst ihre Entscheidung getroffen, bevor man eindeutige Antworten auf seine innerlich gestellten Fragen erhält.

 

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