Nagelbett

Nagelbett

    Paperclay, schamottiert,  schwarz brennend, Stahlnägel, 40 cm x 29 cm (B x H)           2020/21

 Alles, was abstrakte Kunst prinzipiell ausmacht, lässt sich an dieser Wandskulptur aufzeigen: Form, Farbe, Material. Es gibt kein Oberthema, dem sich diese drei Elemente unterordnen müssen. Sie selbst sind das Thema. Es ist ähnlich wie in der Musik. Dort muss man sich auf die Töne einlassen, ihren Klang, ihre Höhe, ihre Dauer, ihren Rhythmus. Zusammen bilden sie ein Musikstück. Gleiches gilt hier. Form, Farbe und Material ergeben im Zusammenspiel ein Kunstwerk. In beiden Fällen reagieren wir nicht mit dem Verstand, sondern mit unserem emotionalen Ich. Es gibt formale Kriterien, die etwas über die Kunstfertigkeit der Arbeit aussagen. Wenn unsere Seele jedoch keinerlei Reaktion zeigt, nützt alle kritische Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk nichts. Egal, wie elaboriert ein Kunstwerk ist, es muss in uns eine emotional assoziative Reaktion hervorrufen. Uns, den BetrachterInnen zu versichern, dass es sich um große Kunst handelt, nützt nichts, wenn unsere einzige Reaktion darin besteht, uns zu schämen, weil wir zu dumm sind, den wahren Wert des Kunstwerks zu erkennen. 

   

   Welchen Sinn macht Kunstkritik dann überhaupt? Nun, zum einen bringt sie Kunstwerke überhaupt an das sog. Licht der Öffentlichkeit. Nur, wenn wir von ihnen wissen, können wir uns mit ihnen auseinandersetzen. Wenn wir über die Kunstkritik von einem Kunstwerk erfahren, vermuten wir, dass es Sinn macht, es selbst anzuschauen. Weiterhin kann der Blick der Kritik neben dem Wecken von Neugier auch helfen, Zugang zu diesem Werk zu finden, vor allem, wenn es einem selbst an Seherfahrung mangelt. Gerade in der abstrakten Kunst bietet Kunstkritik  keine durch besondere Fachkenntnis legitimierte bessere Interpretation an, sondern sie erweitert die Möglichkeiten der Deutung. Es ist die Aufgabe der Kritik , etwas, hier ein Kunstwerk der bildenden Kunst, dem Unbefragten zu entreißen. Dazu muss die Kritikerin/der Kritiker bereit sein, sich anrühren zu lassen so wie jede Betrachterin/jeder Betrachter. Ohne diese innere Bereitschaft, sich anrühren zu lassen, kann man einem Kunstwerk nicht ehrlich begegnen. Anschließend muss sie/er sich davon wieder distanzieren, um gewichten, analysieren und urteilen zu können.

 

   All dies beantwortet aber natürlich nicht die Frage, was ein gutes Bild ist. Diese Frage muss für jedes Kunstwerk neu beantwortet werden. Warum also ist diese Wandplastik ein gutes Kunstwerk? Beginnen wir mit dem Material. Dieses Wandrelief ist eine Kollage aus zwei Materialien, die von Natur aus eher fremdeln, nämlich aus Paperclay und Nägeln. Die Nägel sind irgendwie verbogen, krumm. Mit ihren Köpfen ragen sie aus ungleich langen Tonröhren heraus. Das Metall ist in der Folge des Brandes schwarz angelaufen und hat jede Glätte und jeden Glanz verloren, also jene Merkmale, die für neue Nägel typisch sind. Damit sind wir bei der Form. Diese in Tonröhren gebetteten, mehr oder weniger krummen Bauelemente sind auf einer Trägerplatte aufgearbeitet. Diese Platte ist extrem dünn ausgewalzt. Sie ist an mehreren Stellen leicht aufgewölbt. Ihre Ränder sind völlig ungleichmäßig, beinahe formlos und stellenweise irgendwie ausgefranst. Die Oberfläche wirkt nicht glatt, sondern erinnert an ein korrodiertes Blech, das etwas Vergängliches ausstrahlt. Dieser Eindruck von oberflächlich beinahe schon abplatzendem Rost wird erreicht durch eine dünne Tonschlickerschicht, die mit einem Pinsel auf die Grundplatte aufgemalt wurde.

 

   Die Anordnung der Nägel mit ihren Röhren erscheint zunächst wie Kraut und Rüben. Bei längerem Hinsehen spürt man, dass sich hinter dem Chaos eine Art Ordnung verbirgt, der man gerne auf die Spur kommen möchte. Diese Ordnung in der Anordnung des Chaos ist ein Grund für die Bereitschaft der BetrachterInnen, dieser Wandskulptur Zeit zu widmen. Die Neugier ist geweckt. Erschwert wird diese Suche nach dem verborgenen Ordnungsprinzip durch die ausgeprägte Nutzung der dritten Dimension. Die Tonröhren liegen unter- und übereinander, scheinbar ohne ein erkennbares Ordnungsprinzip. Dennoch entsteht im Ergebnis eine klar gegliederte dreidimensionale Wandskulptur.

 

   Als drittes, wiederum ordnendes Element tritt die Farbe hinzu. Die Skulptur ist nicht glasiert wie ein Stück Gebrauchskeramik, sondern sie wurde wie eine Leinwand mit Pinsel und Glasurfarbe bewusst gestaltet. Die Farbe der Grundplatte nimmt die Farbe des Metall auf. Die Röhren aber sind einzeln bemalt mit einer durch den Brand glänzenden, dennoch in sich unsauber mit Braunsprenkeln versetzten Grünton. Im Ergebnis entsteht so ebenfalls der Eindruck des Gebrauchten, Vergänglichen.

 

   Im Zusammenspiel von Material, Form und Farbe steht man so vor einer Wandskulptur, die einem etwas erzählt von der Vergänglichkeit von scheinbar ewig haltbarem Material, vom Charme eines langsamen, dennoch auf Dauer unaufhaltsamem Verfall. Zurück bleibt daher ein irgendwie melancholischer Gesamteindruck eines Kunstwerks, dass der Vergänglichkeit von Artefakten Ausdruck verleiht, dabei jedoch gleichzeitig einen nicht ganz erklärlichen, ästhetischen Charme verströmt, der den Blick immer wieder anzieht. 

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