Nein, die Welt ist kein Schmetterling

Nein, die Welt ist kein Schmetterling

                Wandskulptur Paperclay, schamottiert,  5-teilig, als Kollage mit aufgearbeiteten                               Eisenschrottelementen  und Steinen, mit Glasurfarben bemalt, gebr. bei 1050 °C              57 cm x 43 cm (B. max. x H. max.)                                    2019/2020

Haben Sie  auch schon mal vor einem Kunstwerk gestanden und fühlten sich dabei irgendwie irritiert? Spürten Sie vielleicht gleichzeitig, dass von dem, was Sie da sahen, für Sie eine wie auch immer geartete Faszination ausging, die Sie aber nicht gleich in Worte kleiden konnten . Entwickelten Sie dabei auch das irgendwie verstörende Gefühl, dass Sie da jemand auf den Arm nahm und nur Ihre Zeit stahl?

 

  Dachten Sie vielleicht: Was soll das denn überhaupt sein? Ist das wirklich Kunst? Oder kann das ebenso gut weg? Was will mir der Künstler damit nur sagen? Will er mir überhaupt etwas sagen?

 

   Sollten Ihnen beim Betrachten eines Kunstwerks jemals solche oder ähnliche Fragen durch den Kopf geschossen sein, sollten Sie dennoch nicht davon abgelassen haben, dann haben Sie mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ihre Blicke nicht von einem  Kunstwerk lassen können, das in die Kategorie abstrakte Kunst fällt. Als Liebhaber abstrakter Kunst kann ich Sie dann nur beglückwünschen. Sie sind ein Glückspilz! Warum? Sie haben sich von den wichtigsten Bausteinen abstrakter Kunst einfangen lassen, als da sind: Farbe, Form, Textur und Material.

 

   Auf den ersten Blick ist bei der Betrachtung abstrakter Kunst keine Assoziation zu Figuren und Formen in der Natur jenseits rein geometrischer Entsprechungen erkennbar. Auf den zweiten Blick entstehen in Ihnen dann doch assoziative Verknüpfungen mit ihrer eigenen Innenwelt. Erinnerungen an frühere Erfahrungen werden wach. Da wir als BetrachterInnen gerne wissen wollen, wie die Künstlerin/der Künstler es geschafft hat, uns an den Haken der Neugier zu nehmen, können wir nicht mehr achtlos an solch einem Kunstwerk, um nicht zu sagen Kunststück, vorbei gehen. Versuchen wir also heraus zu finden, welche bildnerischen Tricks B.Chr.K.Barten angewandt hat, um unsere Aufmerksamkeit für das oben gezeigte Kunstwerk zu gewinnen.

 

   Auffälligstes Merkmal dieser Wandskulptur ist wohl das benutzte Material. In dieser Arbeit wurden diverse Schrottteile mit Ton kombiniert. Nur die Fachfrau/der Fachmann weiß, dass dies kein normaler Ton sein kann, weil dieses Material beim Trocknen schrumpft, das eingearbeitete Metall aber nicht. Als Laie betrachtet man diesen Materialmix eher mit einer gewissen diffusen Skepsis. Wie hat sie das bloß gemacht? Geht so etwas überhaupt?  Schließlich schrumpft der Ton beim Brennen weiter, während sich das Metall beim Erhitzen ausdehnt. Irgendwo muss es da ein Geheimnis geben. Und natürlich haben Sie  mit dieser Skepsis recht. Bei dem Ton, der hier als bildnerische Leinwand dient, handelt es sich um Paperclay, einem Ton mit Zellulosebeimischungen. Zum Grundmaterial gehört auch, dass B.Chr.K.Barten ihren Paperclay immer aus schamottiertem Ton herstellt. In der Malerei gilt: Leinwand ist nicht gleich Leinwand. Bei diesen Wandskulpturen gilt: Ton ist nicht gleich Ton. Das auf den ersten Blick ungewohnte Bildmaterial weckt in jedem Fall eine Art Erstneugier, auch wenn einem das Besondere dieses Material vermutlich nicht bewusst wird. Man spürt beim Betrachten jedoch, dass das eingesetzte Material nicht ohne Grund benutzt wurde. Wer mehr über dieses Material und seine Herstellung wissen möchte, findet dazu Genaueres hier. 

 

    Die eingearbeiteten Metallteile erwecken natürlich unsere Aufmerksamkeit, weil wir die ursprüngliche Funktion des einen oder anderen Teils erkennen, wie z.B. den Steinbohrer unten rechts. Andere Teile kommen uns nur irgendwie bekannt vor, wir können sie aber keiner früheren Verwendung zuordnen. Zurück bleibt der Eindruck von diversen Schrottteilen, die hier ungleichmäßig verteilt eingearbeitet wurden.

 

   Unten links und oben rechts erkennen wir Reste von Steinen, deren genaue Herkunft sich nicht sofort erschließt.

 

   Die Grundplatte ist nach dem Auswalzen an mehreren Stellen aufgewölbt worden. Im Ergebnis entsteht so ein deutlich dreidimensionaler Gesamteindruck. Die Außenränder sind unregelmäßig geformt, zusätzlich zum Teil hochgedrückt. Für diese Art der (Ver-)Formung ist schamottierter Paperclay besonders gut geeignet. Man darf nicht vergessen, dass das Material Ton beim Trocknen schrumpft. Die Variante Paperclay ist gegen Trocknungsrisse ziemlich gefeit, selbst, wenn sie mit Eisen kombiniert wird. 

 

   Die so entstandene Gesamtform mag zum Beispiel entfernt an einen Schmetterling erinnern, allerdings an einen vom Dasein irgendwie gebeutelten. Die aus brenntechnischen Gründen notwendigen Schnittlinien unterstützen diesen Eindruck eines organischen Wesens. Sie durchziehen das Relief wie die Adern eines Blutgefäßsystems. Diese Schnittlinien sind also nicht nur technisch notwendig, sondern B.Chr.K.Barten müachtü aus dieser Notwendigkeit eine gestalterische Tugend. 

 

  Bei diesem Relief spielt auch die Textur der Oberfläche eine wichtige Rolle. An vielen Stellen sind Verunreinigungen in den Ton gedrückt. Da sie alle schwarz angelaufen sind, handelt es sich, so vermutet man als BetrachterIn, um Eisenspäne oder Ähnliches. Und sie vermuten dies zu Recht, denn alle Metalloberflächen erhalten durch den Brand bei über 1000 °C  diese Art Patina. Bei manchen Teilen, wie etwa den Schraubenköpfen für Imbusschlüssel ist das ursprüngliche Teil mindestens erahnbar. Bei vielen Einzelteilen ist ein Rückschluss auf eine ursprüngliche Verwendung allerdings kaum mehr möglich.

 

 

   Im Fall dieser Wandskulptur entwickelt sich durch diese Kombination aller für abstrakte Kunst typischen Einzelaspekte ein Gesamteindruck, der neugierige Fragen aufwirft, etwa nach dem eingesetzten Material, der formalen Gestaltung einschließlich der Linienführung der Schnitte, nach der Textur der Oberfläche und nach der Farbe. Dieser fragenden Neugier geben wir als BetrachterInnen auch gerne nach, weil der Eindruck entsteht, dass es sich nicht um zufälliges Chaos handelt, sondern, dass sich hinter dem Einsatz der einzelnen genannten Mittel spürbar ein Ordnungsprinzip verbirgt. Dieses Ordnungsprinzip verlangt allerdings, dass wir uns beim  Betrachten ein wenig Zeit nehmen. Und schon ist es passiert. Je mehr Zeit wir vor dieser Wandskulptur verbringen, desto mehr Einzelheiten nehmen wir bewusst war, desto mehr Fragen stellen sich uns und desto intensiver suchen wir nach Antworten in diesem Kunstwerk. Besseres kann einem Kunstwerk nicht passieren als BetrachterInnen, die Fragen an das Kunstwerk stellen.

 

 

 

   Bei der farblichen Gestaltung hat sich B.Chr.K.Barten stark auf eine beinahe monochromatische Abdeckung der Grundplatte aus Paperclay konzentriert. Diese für die Künstlerin in ihren jüngeren Arbeiten eher seltenere Beschränkung auf eine Farbwirkung erweist sich beim Betrachten rasch als Gewinn, denn erst durch diese Beschränkung gewinnen die vielen verschiedenen metallenen Versatzstücke ihren Reiz. Sie gehen nicht unter in einer farblichen Vielfalt, sondern entwickeln eine eigene formende Dominanz. So ist nichts unwichtig für die bildnerische Gesamtwirkung dieser Wandskulptur. Keine überflüssig verspielten Details stören die Gesamteindruck. Einmal mehr zeigt sich: Auch der ökonomische Einsatz von bildnerischen Mitteln gehört zu den Kriterien für gute Kunst.

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