Waldboden

Waldboden

Paperclay rot brennend 36 cm (max.) x 32 cm (max.) (B. x H.) mit Glasurfarben bemalt, gebrannt bei 1050 °C 2020

   Alles, was Sie für die Beschäftigung mit abstrakter Kunst benötigen, sind ein offener Geist und Lust auf neue Emotionen. Ich glaube nicht, dass es besonders schwer ist, an abstrakter Kunst Gefallen zu finden. Ebenso wenig ist sie besonders schwer zu verstehen. Vorkenntnisse können hilfreich sein; für das Verständnis abstrakter Kunstwerke, notwendig sind sie nicht.

 

   Lösen Sie sich beim Besuch eines Ortes, in dem abstrakte Kunstwerke gezeigt werden, von bekannten Sehgewohn- heiten und festgefahrenen Überzeugungen. Eine Grundhaltung etwa nach dem Motto "Das haben wir schon immer so gemacht" ist beim Einstieg in das Betrachten von abstrakten Kunstwerken tendenziell hinderlich. Machen Sie sich also frei davon. Freuen Sie sich stattdessen auf wie auch immer geartete neue Erfahrungen. Schauen Sie einfach erstmal hin, ohne schon im Vorwege eine innere ablehnende Grundhaltung aufzubauen. Gute abstrakte Kunst bietet dann, wie jede gute Kunst, die Chance, ihre ästhetische, assoziative und emotionale Kraft für die, die sie betrachten, zu entfalten.

 

   Die in diesem Blogeintrag vorgestellte Arbeit trägt den Titel Waldboden?. Dieser Bildtitel ist nicht zufällig gewählt, obwohl er nicht einmal ansatzweise am Beginn der Erarbeitung dieses Reliefs stand. Diese Wandskulptur hat als Startpunkt eine vollkommen abstrakte gedankliche Arbeit. Sie ist aus Paperclay gefertigt, also Ton mit einer Beimischung von Zellulose. Beim ersten Hinsehen fallen genau jene Grundelemente ins Augen, die abstrakte Kunst ausmachen: Formen, Farben, Flächen und Texturen, ohne dass sie Bezug zu irgendetwas Konkretem eröffnen, etwas, das man früher schon einmal gesehen hat. Die Neugier wird geweckt, weil die Einzelelemente natürlich bekannt sind. Man sieht kleine Kügelchen, pilzähnliche Gebilde, die aus verbogenen Gitterstrukturen wachsen, und unregelmäßig geformte, irgendwie lappenähnliche Elemente. Auch dem äußeren Rand fehlt eine klar definierte Struktur. Die eingesetzten Glasurfarben heben die genannten Einzelstrukturen hervor. Gleichzeitig ordnet die farbige Gestaltung die Einzelelemente einander zu und weckt irgendwie Assoziationen von Vergänglichkeit in BetrachterInnen. Nichts ist wirklich klar erkennbar. Auch die Gitter sind nicht mit nur einer Farbe bemalt, sondern changieren in allen möglichen Mittelbrauntönen. Dennoch glaubt man ein Prinzip zu erkennen. Was man sieht, ist verformt, verbogen, mit einem Wort, man glaubt Zeuge eines Prozesses von Vergehendem beizuwohnen. Man ahnt, dass daraus auch wieder Neues entstehen wird, man weiß nur noch nicht genau, was. So entstand der Titel dieser Wandskulptur. Eine Assoziation könnte die Erinnerung an ein Stück Waldboden sein, der zwar mit verrostendem Metall belastet ist, der sich aber erfolgreich gegen dieses Verschmutzung wehrt. Diese Assoziation ist möglich, aber natürlich nicht die einzig wahre. Allerdings, ein Waldboden steht für das Vergängliche, aus dem Neues erwächst - jedes Jahr aufs Neue, immer und immer wieder. Diese Assoziation liegt also auf der Hand. Waldboden?, finde ich, passt daher. Die Künstlerin ist erst auf diesen Titel gekommen, nachdem das Relief fertig aus dem Brennofen kam. Das schließt natürlich nicht aus, dass ihr die Grundidee während der Gestaltung unbewusst, sozusagen verborgen, schon im Hinterkopf saß. Es ist natürlich nicht der einzig mögliche Titel. Der Vorzug abstrakter Kunst liegt auch darin, dass jede Betrachterin/jeder Betrachter einen Titel denken kann, der ihrer/seiner emotionalen Reaktion entspricht. Das ist mehr als legitim. Ja, es ist sogar denkbar, dass im Laufe der Zeit und häufiger Betrachtung sich die Idee für einen ganz anderen Titel entwickelt. Kunst lebt eben auch vom Betrachten.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0