Odyssee
Assemblage 7-teilig Paperclay aus schwarz brennendem schamottierten Ton mit einigen stabförmigen Eisenelementen 77 cm x 47 cm (B x H). Bemalt mit Glasurfarben gebrannt bei 1060 °C 2020/21
Maurice Denis, Mitbegründer der 1888/89 entstandenen rebellischen Künstlergruppe Les Nabis formulierte sein Verständnis als Maler einmal mit dem Satz: Denken Sie daran, dass ein Bild im Wesentlichen eine ebene Fläche ist, die mit Farben bedeckt ist, die in einer bestimmten Ordnung zusammengesetzt ist."
Die in diesem Beitrag vorgestellte Assemblage von B.Chr.K.Barten kommt dieser Definition schon sehr nah. Nur handelt es sich bei ihren Wandskulpturen, so auch bei dieser, nicht um eine ebene Fläche. Die Bildebene wurde durch darauf aufgearbeitete bildnerische Elemente aus Paperclay, und aus Metallteilen in die dritte Dimension erweitert, ohne dabei die Fläche wirklich zu verlassen. An manchen Stellen nutzt die Künstlerin die mehrere Millimeter betragende Dicke ihrer Grundplatte aus Paperclay auch dazu, Vertiefungen einzuritzen, so dass die glatte Ebene in beide Richtungen verlassen wird. Dennoch werden ihre Arbeiten trotz aller skulpturaler Elemente wie Gemälde an der Wand aufgehängt. Worin liegt also die besondere Attraktivität dieser Arbeiten, die dazu führt, sie wie Bilder zu betrachten und zu behandeln?
Grundsätzlich ist dieses Verlassen der malerischen Ebene, ohne dabei eine echte dreidimensionale Skulptur zu erschaffen, nichts Neues. Viele Kollagen nutzen genau diese Variante der Gestaltung einer Bildebene. Mit seinen Nagelbildern hat Günther Uecker einen vergleichbaren Weg beschritten. Auch Materialmix ist nicht wirklich etwas Neues. Die Fachwelt spricht in solchen Fällen von Assemblagen. Ungewöhnlich ist bei brigitte c. bARTen eher die Verknüpfung von Paperclay (Ton mit Zellulosebeimischungen) und Eisenteilen. All dies erklärt aber noch nicht die stark suggestive Wirkung, die von den Arbeiten dieser Künstlerin ausgeht.
Das Geheimnis liegt wahrscheinlich im stark ikonografischen Charakter der einzelnen Elemente ihres bildnerischen Alphabets. Ikonografische Kunst fordert dazu heraus, im Bild verborgene Botschaften zu entschlüsseln. Piktogramme wurden lange vor der Entwicklung des Alphabets eingesetzt, um Gedanken oder Ideen mitzuteilen. Unsere grafischen Ressourcen als Teil der nicht sprachlichen Kommunikation sind entsprechend vielfältig. Ebenso sind wir daran gewöhnt, ihren Symbolcharakter zu entschlüsseln, denn wir sind von Natur aus neugierig. Die Entschlüsselung von Geheimnissen macht uns unter anderem auch einfach Spaß.
In dieser Wandskulptur werden die vielen einzelnen ikonografischen Elemente zusätzlich getragen vom Einsatz verschiedener Glasurfarben. Sie helfen, einzelne Elemente zu Verwandten zu gruppieren, die irgendwie zusammen gehören. Die Farben helfen, eine strukturierende Gliederung in die Vielfalt zu bringen. Sie leiten das Auge der BetrachterInnen, und sorgen dafür, dass von Beginn an so etwas wie Ordnung zu erkennen ist. Man fühlt sich so nicht überfordert oder verloren, auch, wenn man die einzelnen Elemente nicht gleich entschlüsseln kann. Artverwandte Empfindungen entwickeln wahrscheinlich Archäologen bei ihrer Suche nach ikonografischen Botschaften auf den Wänden alter Gebäude, deren Bedeutung sich nicht direkt erschließt, wie etwa die Ikonografien auf der Fassade desTempels der Inschriften, einem zentralen Bauwerk der Mayastadt Palenque.
Die Entschlüsselung solcher Zeichen in der abstrakten Kunst erfordert von BetrachterInnen den Rückgriff auf eigene Erfahrungen, die im Unterbewussten abgespeichert sind. Da unsere in uns abgespeicherten Erfahrungen bei jedem Einzelnen von uns unterschiedlich sind, gelangen wir bei diesen Entschlüsselungsversuchen natürlich zu unterschiedlichen Ergebnissen. Entscheidend ist dabei, dass wir zu Ergebnissen kommen, nicht, dass wir alle zu gleichen Ergebnissen kommen. Eine durchaus artverwandte Symbolik setzte Pablo Picasso für sein politisch motiviertes Wandbild Guernica ein, nur dass er bei der Auswahl der Symbole gezielt seinen Protest gegen die dort geschehenen Kriegsgreuel zum Ausdruck bringen wollte. Entsprechend haben BetrachterInnen weniger interpretatorische Freiheit bei der Entschlüsselung der Einzelelemente. Das ist bei brigitte c. bARTen ganz anders. Sie lenkt den Blick der BetrachterInnen nicht in eine politische Richtung, sondern weist mit Hilfe der einzelnen Formen und deren Farbgebung mögliche Wege. Jede/r Einzelne muss mit ihren/seinen Augen einen eigenen Weg durch dieses ikonografische Labyrinth suchen, um für sich eine für sie oder ihn stimmige Bedeutung zu finden. Es ist ein wenig wie eine gedanklich ästhetische Schnitzeljagd. Einzig ein wenig Zeit muss man beim Betrachten dieser Wandskulptur bereit sein zu widmen. Von dieser Notwendigkeit befreit einen die Künstlerin einmal mehr nicht. Gott sei Dank möchte man hinzufügen.
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