Erinnerung an mein Ruhrgebiet

Erinnerung an mein Ruhrgebiet

      Wandskulptur Paperclay, schamottiert, bemalt mit Glasurfarben, gebr. bei 1060 °C

Neugier kann man lernen. Stellen Sie sich mal vor ein abstraktes Gemälde. Dann versuchen Sie mal bewusst nichts zu denken. Sie glauben gar nicht, wieviel Energie aufgewandt werden muss, um solch ein Unterfangen auch nur ansatzweise zum Erfolg zu führen. Völlig gelingt das niemandem, nicht mal durch Meditation - jedenfalls sehen das Hirnforscher so.

   Vermutlich verbirgt sich hinter dieser "Unfähigkeit" unseres Gehirns eine mögliche Erklärung für die Faszination, die in vielen von uns ausgelöst wird, wenn wir abstrakte Kunst betrachten. Es ist nicht wirklich zu ergründen, aber auf jeden Fall nicht zu leugnen: abstrakte Kunst vermag unseren "Verstand" erstaunlich zu fesseln. Ich gehe dabei sogar so weit zu postulieren, dass diese Eigenart abstrakter Kunst ein Merkmal darstellt, anhand dessen man banale abstrakte Kunst von guter abstrakter Kunst unterscheiden kann. Gute abstrakte Kunst schiebt individuell unterschiedliche, assoziative Gedankengänge in BetrachterInnen an, ob diese dies wollen oder nicht. Man kann das Gehirn nicht daran hindern. Diejenigen Bilder/Vorstellungen, die beim Betrachten in unser Bewusstsein drängen, stellen quasi eine Reise durch unser Inneres dar. Bei guter abstrakter Kunst können wir  uns eigentlich nur dagegen wehren, indem wir den Blick abwenden und uns bemühen achtlos" vorbei zu gehen.  Das allerdings grenzt an Selbstbetrug, der uns um ein assoziatives Vergnügen bringt.

  Meine persönliche Assoziation zu dieser abstrakten Wandskulptur ist ein gutes Beispiel für die Kraft unseres Unterbewussten. Meine Kindheit und Jugend habe ich im Ruhrgebiet verbracht. Ich bin groß geworden zwischen Fördertürmen, Hochöfen, flächenverbrauchende Eisenbahnlinien, Schlackebergen, hohen Schornsteinen und Abraum- halden. Diese Eindrücke prägen bis heute meine Erinnerungen an das Ruhrgebiet, mein Ruhrgebiet. Was Wunder, dass diese Arbeit von B.Chr.K.Barten in mir als Abbild meines von mir erinnerten Ruhrgebiets  in mein Bewusstsein drängt. Alle Einzelelemente repräsentieren passgenau die bestimmenden Landschaftselemente meiner Jugend. Ich kann gar nicht anders, als eine Abraumhalde, eine Gleisanlage, Kohle- Erz- und Schlackeberge und diverse hohe Industriebauten zu erinnern. Auch die Farben stimmen für mich, denn Alles um uns herum wurde in Rottöne getaucht, wenn z.B. in der Kokerei Schlacke abgekippt wurde. Die eher gelbähnlichen Farbtöne evozieren in mir Erinnerungen an die gelben Dämpfe aus den Schloten der Chemieindustrie, die uns umgab. Gleichzeitig geht von diesem Relief ein grafischer Reiz aus, der für mich in meiner Jugend positiv bewegte. Ich empfinde Industrielandschaften bis heute als grafisch reizvoll. Wenn ich diesem Relief einen Namen beigeben müsste, dann würde ich es Erinnerungen an mein Ruhrgebiet betiteln. Die Künstlerin selbst schüttelt darüber allerdings ihren Kopf. Für sie ist es ein abstraktes Kunstwerk - konsequenterweise ohne Titel. Als ständigem Kuratgor ihrer Ausstellungen nehme ich mir ab und an das Recht heraus, einer ihrer Arbeiten für meine Besprechungen einen Titel beizugeben, der meiner persönlichen Assoziation entsprungen ist. Natürlich möchte ich damit auch illustrieren, wie abstrakte Kunst auf uns als BetrachterInnen wirkt.

   Jemandem, der nicht in einer Industrielandschaft groß geworden ist, mag diese assoziative Interpretation hergeholt erscheinen. Jedes andere gedanklich assoziative Verständnis für die angebotenen Formenelemente und deren farbliche Gestaltung sind denkbar und möglich. Eine Betrachterin sah darin z.B. eine herbstliche Landschaft. Und natürlich hat diese Reaktion genau die gleiche Berechtigung wie meine. Entscheidend für den künstlerischen Wert dieser abstrakten Wandskulptur ist die assoziative Energie, die von ihr ausgeht.

   Daneben zählen natürlich auch Kriterien wie z.B. Originalität. Dazu zählt auch das eingesetzte Material, hier Paperclay. Skulpturale Wandbilder aus diesem Material sind in der bildenden Kunst bisher kaum bekannt. Einige KünstlerInnen wie der aus Mähren stammende, in Österreich lebende Otakar Sliva und seine Lebensgefährtin Astrid Sänger arbeiten klassisch als BildhauerInnen mit diesem Material. In Deutschland gilt Paperclay eher als exotisch. Das kann man z.B. daran ablesen, dass so gut wie keine Literatur aus deutscher Feder zu diesem Material vorhanden ist. Auch das Angebot an Paperclay seitens der Industrie ist mehr als eingeschränkt. Schamottierte Tone fehlen dabei völlig. Entsprechend stellt B.Chr.K.Barten das von ihr benutzte Material selber her. Daher ist schon das eingesetzte Material für die Wandplastiken der Künstlerin ein Alleinstellungsmerkmal.

   Ergänzt wird diese ungewöhnliche Materialwahl durch eine in hohem Maße eigenständige Handschrift von B.Chr.K.Barten. Ihr umfangreiches bildnerisches Vokabular verbindet sich in ihren Wandskulpturen zu einer Sprache voller Piktogramme, die zur Entschlüsselung auffordern, und denen immer ein Resträtsel zu eigen bleibt, selbst, wenn man zunächst glaubt, alles enträtselt zu haben. Ihre Wandreliefs bilden so eine stete Herausforderung für BetrachterInnen. Allenfalls kann man beim Betrachten ihrer Arbeiten den Vorwurf erheben, dass man ihnen ihre Aussage nicht mal eben im Vorbeigehen entlocken kann. Sie wecken eine Erstneugier. Diese kann man aber nur wenigstens teilweise stillen, indem man sich für das Betrachten Zeit nimmt. Aber Zeit zum Verweilen, um die Einzelheiten in sich aufzunehmen, benötigt man vor jedem guten Kunstwerk. In dieser Hinsicht ist diese Wandskulptur von B.Chr.K.Barten in mehr als guter Gesellschaft.

 

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