Abendstimmung
Wandskulptur 6-teilig Paperclay aus anthrazitfarben brennendem, schamottierten Ton gebr. bei 1060°C. 77 cm x 49 cm (B x H) 2021
Das muss erst einmal jemand der Künstlerin B.Chr.K.Barten nachmachen - eine abstrakte Kunstform zu entwickeln, die den BetrachterInnen trotz aller Abstraktheit eine Geschichte erzählt. Objektiv betrachtet bestehen ihe Wandbilder, so auch das hier gezeigte, aus abstrakten geometrischen Einzelformen wie Vierecken, Dreiecken, Kreisen, Kugeln, Röhren, unregelmäßig geformten Elementen sowie langen Wülsten, manchmal ergänzt durch Schrottelemente, deren ursprüngliche Funktion häufig nicht mehr zu erkennen ist. Sie fügt dieses abstrakte Vokabular auf ihrer Leinwand - einer aus einem Ballen Ton ausgewalzten Tonplatte - zu einer abstrakten Gesamtkomposition zusammen. Im letzten Schritt nutzt sie ihre Farben, um dem abstrakten Gedankengebäude einen zusätzlichen abstrakten optischen Reiz beizugeben. Dabei sind Farben tendenziell noch abstrakter als geometrische Formen, die wenigstens mathematisch beschreibbar sind.
Im Ergebnis entsteht verblüffenderweise eine Geschichte, die durch die fertige Wandskulptur erzählt wird. Der entscheidende Impuls geht dabei jedoch nicht von der Künstlerin aus. Es war und ist keineswegs ihre Absicht, eine Geschichte zu erzählen. Sie macht abstrakte Kunst. BetrachterInnen stehen jedoch nicht mehr oder weniger unberührt davor, sondern sie merken bald, dass ihnen von dem Relief eine Geschichte erzählt wird, die sie, häufig zu ihrer eigenen Verblüffung, selbst darin lesen. Jeder/jede Einzelne erzählt sich eine andere, eigene Geschichte, wobei die meisten mit den Geschichten, die sie sich, unterstützt von dem Wandbild, selbst erzählen, sehr zufrieden sind. Das jedenfalls legt die überwiegende Mehrzahl von Reaktionen nahe. Eines lässt der erzählerische Sog, der von diesen Arbeiten ausgeht, so gut wie nicht aufkommen - Langeweile. Erstaunlich ist dabei auch, dass die selbe Arbeit auch dem selben Betrachter/der selben Betrachterin keineswegs bei zeitlich verschieden Besuchen dieselbe Geschichte erzählt, die sie bei einer früheren Betrachtung von dem Relief erzählt bekommen haben.. Man ergänzt sie, erweitert sie, schreibt sie um, oder man schreibt sie sogar neu. Das passt zu dem Umstand, dass man beim ersten Betrachten keineswegs alle Details wahrnimmt, geschweige denn aufnimmt. So besitzen ihre Arbeiten eine Art erzählerisches Eigenleben, in denen man immer wieder Neues findet. Achtlosigkeit seitens der BetrachterInnen kommt daher so gut wie nie vor, wenn man den Weg zu einer ihrer Arbeiten gefunden hat. Diese häufig beobachtete Reaktion passt gut zu meiner Überzeugung, dass die Deutungshoheit über Werke der abstrakten Kunst immer bei deren BetrachterInnen liegt.
Fragt man die Künstlerin danach, wie sie das macht - dieses einem Relief eine Geschichte beilegen - dann erntet man hilflosen Kopfschütteln; sie verneint auf Nachfragen vehement, solch eine Absicht auch nur ansatzweise beim Entwurf verfolgt zu haben. Sie macht aus ihrer Sicht ganz einfach abstrakte Kunst. Auf weitere Nachfrage bestätigt sie allerdings, dass sie ausgesprochen gerne Geschichten hört und auch selber erzählt. Nur erzählt sie ihre Geschichten nicht mit Worten, sondern sie benutzt piktogrammatische Einzelelemente, die sie zu einer formal höchst kunstvollen, abstrakten Geschcichte zusammensetzt. Die sich beim Betrachten entwickelte erzählerische Art der Kommunikation zwischen Kunstwerk und BetrachterInnen freut sie zwar ungemein, dennoch kann sie nicht erklären wie und warum sie das macht. Es ist ihre Art, sich auszudrücken, mit einem völlig abstrakten bildnerischen Vokabular, das sie für sich entwickelt hat, und das sie immer wieder für ihre Arbeiten erweitert und ergänzt. Es gibt keinen Duden dafür, in dem man nachschlagen kann, was die einzelnen Elemente bedeuten. Die Anleitung zum Lesen findet sich nur im Kunstwerk selbst. Die Künstlerin empfindet es nicht als ihre Aufgabe, den BetrachterInnen ihrer Kunstwerke zusätzlich zum Kunstwerk selbst in irgendeiner Form eine Lesehilfe beizugeben. Sie findet, sie hat ihre Arbeit getan, wenn die Wandskulptur fertig an der Wand hängt. Nun sind die BetrachterInnen aufgefordert, ihren Teil der "Arbeit" zu verrichten, sich also ihre Geschichte aus dem Wandbild selbst zu erzählen, statt sich etwas erzählen zu lassen. Ein von der Künstlerin vorgegebener Titel würde dabei eher im Wege stehen, sprich stören.
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