Wandskulptur Struktur im Watt

Struktur im Watt

 Diese Wandskulptur von B.Chr.K.Barten illustriert exemplarisch das Dilemma abstrakter Kunst. Was bitte will dieses Ding von mir? Was soll das denn überhaupt sein? Es erzählt mir ja nicht mal eine Art Story. Ich kann entrüstet weitergehen, oder ich kann mich dazu entschließen, genauer hinzusehen. Wenn ich diese Entscheidung einmal pro Hinsehen für mich gefällt habe, dann passiert etwas Unerwartetes: Das von mir betrachtete Kunstwerk breitet für mich uneingeschränkt die Arme aus, um es einmal symbolisch auszudrücken. Ich muss nur bereit sein, mich hinein zu werfen.  Nicht sie, die Wandskulptur, erzählt mir eine Geschichte, sondern sie fordert von mir, dass ich genau diese Arbeit nun selbst verrichte, nämlich mir eine Geschichte zu erzählen, die  für meine Wahrnehmung in ihr geschrieben steht. Ich muss mir eben nur Zeit nehmen und genauer hinschauen. Gute abstrakte Kunst strahlt genau diese Anmaßung aus und macht sie attraktiv für BetrachterInnen. Wir müssen bereit sein, die Arbeit des Erzählens und die Sichtung durch den Kritiker/die Kritikerin zu übernehmen, oder wie Jörg Heiser es in seinem Buch Plötzlich diese Übersicht formuliert: Interessante Kunst erzählt nicht, sie lässt erzählen

 

    B.Chr.K.Barten  nutzt diesen Motivationsfaktor mit ihren Arbeiten mit entschiedener Konsequenz. Deshalb auch verweigert sie den BetrachterInnen ihrer Arbeiten helfende Titel. Ein Titel kann natürlich den Bemühungen der BetrachterInnen eine Richtung vorgeben. Der große Nachteil liegt darin, dass es den Einfallsreichtum der BetrachterInnen, ob wir dies wollen oder nicht, massiv einschränkt. Die Richtung unseres Denkens soll eben gerade nicht vorgegeben werden. Heiser spricht davon, dass die Drecksarbeit des Denkens und der Kritik den BetrachterInnen überantwortet wird. Gerade dieser Verlagerung der Aufgaben hinsichtlich der Rezeption hin zu den BetrachterInnen macht ja den Reiz abstrakter Kunst aus. Packen wir es also an, statt nur ablehnend mit dem Kopf zu schütteln. 

 

    Erzählungen , die ein Kunstwerk von mir abfordern, entstehen natürlich nicht aus dem Nichts. Jeder Mensch ist angefüllt von Erinnerungen. Das von mir betrachtete Kunstwerk muss nun etwas im Wust meiner Erinnerungen assoziativ in mein bewusstes Erinnern hieven. Im negativsten Fall ruft solch ein Kunstwerk auch bei mehr als gutem Willen nichts an Erinnerungen in mir wach. Dann ist dieses Kunstwerk nicht für mich gemacht und ich bin nicht für dieses Kunstwerk gemacht. Dies ist dann ein völlig wertneutrale Feststellung, zu der ich als Betrachter/in selbstverständlich berechtigt bin. Ich bin weder schlecht, noch unbegabt noch unfähig, wenn ich zu solch einer Feststellung komme. Nicht jedes abstrakte Kunstwerk passt in jede Erinnerungsbiografie. 

 

  Das hier gezeigte Kunstwerk gehört zu mehreren kleinen aber feinen Präziosen, die viele Ansatzmöglichkeiten für ein assoziativ bedingtes Erzählen von Geschichten bieten. Das beginnt bei dem hier gezeigten Beispiel mit der äußeren Form, führt über die subtile, fast schon monochrome Farbgebung, über die die Fläche deutlich strukturierenden grafischen Elemente, bis hin zur dreidimensionalen Ausformung der Bildfläche zu einer Wandskulptur, was auch den unregelmäßigen Bildrand einschließt. Im Betreiber dieses Blogs ruft diese Wandskulptur immer Erinnerungen an das Wattenmeer wach, durch das er viele Male bei Niedrigwasser gewandert ist. Selbst die damit verbundenen Geräusche kommen beim bewussten Anschauen in die Erinnerung zurück. Da diese Erinnerungen durchweg sehr positiv besetzt sind, bringt dieses Kunstwerk daher immer wieder einen fröhlichen Ausdruck in mein Gesicht. Mir geht es in diesem Augenblick gut. Was kann man mehr von Kunst verlangen, wenn man mit Kunst nicht gleich die ganze Welt retten möchte.

 

    Zum guten Schluss ist klar, warum der Rezensent die Titelfrage zu Beginn so gestellt hat. Ich könnte diesem Wandrelief diesen Titel beigeben, weil er meine assoziativen Reaktionen beschreibt. Die Künstlerin, die viele Jahrzehnte ebenfalls am Wattenmeer gelebt hat, mag durch ähnliche Erfahrungen zu diesem Wandrelief inspiriert worden sein, aber es lag nicht in ihrer Absicht, diese Inspirationsquelle - wenn sie es denn tatsächlich gewesen ist - bildhaft darzustellen. Entsprechend läuft diese Arbeit in ihrer Galerie als Wandrelief ohne Titel.

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