Abstrakte Wandskulptur

ohne Titel

                                        Wandskulptur  Material: schamottierter Paperclay                                                             36 cm x 28 cm x 3,5 cm (B x H x T)   Entstehungsjahr 2020/21                            bemalt mit Glasurfarben   gebrannt bei 1060 °C

 Die Ratlosigkeit hinsichtlich dessen, was gute Kunst ist, ist groß, wie man diversen Beiträgen in Feuilletons unschwer entnehmen kann. Hanno Rauterberg entwarf in seinem Buch Und das ist Kunst?! Eine Qualitätsprüfung eine Annäherung an Kunst in fünf Schritten. Alle Schritte basieren auf dem Grundansatz, dass man über Kunst nicht nur reden, sondern dass man sie betrachten muss, will man sich ein Urteil erlauben. Rauterberg versucht daher, seinen LeserInnen Orientierunghilfe beim Betrachten von Kunst zu geben. Wie also lassen sich Kunstwerke beurteilen?. Es geht dabei  um nichts Geringeres als um eine Wertedebatte.  Im letzten seiner fünf Schritte ermuntert er zu der Frage  "Will ich mir das Kunstwerk immer wieder anschauen oder reicht der eine Blick" und bin ich (es) dann satt? Dieser Blogbeitrag bemüht sich um eine diesbezügliche Antwort für diese Wandskulptur von B.C.Barten.

 

   Auf den ersten Blick lässt sich rasch beantworten, was man sieht, denn das eingesetzte bildnerische Alphabet ist begrenzt. Man sieht eine rechteckige Grundplatte, links drei runde Plättchen, rechts drei kleine Kugeln. In der Mittel treffen sich zwei unregelmäßig geformte,  lappenähnliche Elemente, die oben und unten jeweils über die Begrenzung der Grundplatte hinausragen. Zwischen ihnen finden sich ein Dutzend Elemente, die irgendwie an Fruchtkörper von Pilzen erinnern. Mehr ist nicht zu sehen. Und dennoch, diese Wandskulptur gehört zu jenen Arbeiten, an denen man nach einem Blick nicht achtlos vorüber geht. Was hält uns vor ihnen fest, oder zieht uns dahin zurück? 

 

   Beim Betrachten dieser Arbeitg entwickelt sich ein widersprüchliches Gefühl. Einerseits erscheint es auf den ersten Blick sehr simplel aufgebaut. Die Konsequenz wäre, es lohnt also eher nicht, länger davor zu verweilen. Andererseits kann man sich einer unbestimmten Magie, die von dieser Arbeit ausgeht, nicht entziehen. Man bleibt doch stehen und schaut näher hin. Man möchte wissen, ob dieses vage magische Gefühl Ergebnis einer Selbsttäuschung ist, oder eben nicht. Beim zweiten Hinsehen stellt man dann fest, dass dieses auf den ersten Blick so einfache bildnerische Alphabet subtil ausgearbeitet ist. Damit fängt es unsere Aufmerksamkeit ein. Wir sind bereit  näher hinzuschauen. 

 

   Je länger wir hinschauen, desto stärker wirkt dieses  magische  Moment auf uns. Woran liegt das? Es beginnt mit der  Grundplatte, die bei dieser Art von Wandrelief ja gleichzeitig die Leinwand bildet. Diese Leinwand, so solide sie auf den ersten Blick erscheint, hat keineswegs eine glatte Oberfläche, die nur das eigentliche Bild trägt. Vielmehr ist sie in der ganzen Fläche strukturiert, so dass das Licht von ihr in alle Richtungen gestreut wird. Die Grundplatte ist also Teil des Bildes. Die beiden darauf aufgearbeiteten Lappen sind im Gegensatz zu der Solidität der Grundplatte auffällig dünn. Außerdem sind beide Lappen erkennbar verformt. Sie wirken daher deutlich fragil und verletzlich. Die beiden Lappen unterscheiden sich in Größe, äußerer Form und Oberflächenstruktur. Sie sind nicht eine Art Zwillingspaar, sondern sie sind erkennbar zwei Individuen, die von etwas nicht genau Definierbarem zusammen gehalten werden. Sie werfen so mehr Fragen auf, als sie Antworten geben. Zusätzliche Fragen ergeben sich beim Betrachten der pilzähnlichen Elemente zwichen den beiden Lappen. Auch hier sind rasche Antworten zum "Was" bzw. "Warum" nicht zu finden. 

 

   Soweit so gut. Aber sich ergebende Fragen alleine machen noch kein gutes Kunstwerk aus. Im Laufe des Betrachtens müssen sich aus der Arbeit auch Antworten ablesen lassen. Diese müssen nicht für jeden Einzelnen gleich ausfallen, aber eine zufrieden stellende Antwort muss sich wenigstens teilweise finden lassen.

 

   Eine bildnerische Hilfe zum Finden einer Antwort ist der Einsatz der Farbe. B.C.Barten bemalt ihre Wandskulptur wie eine Leinwand. Die Grundplatte ist nicht einfach mit einer Farbe glasiert, sondern sie changiert in einem Farbenmix, der dadurch entsteht, dass mit Hilfe eines Pinsels mehrere Glasurfarben  vermischt aufgetragen werden und anschließend noch mit einem feuchten Malschwamm geschwämmelt werden, so dass schließlich dieser für eine schamottierte Keramik sehr zarte Farbauftrag entsteht. Ihrer Zartheit entsprechend sind auch die beiden Lappen sehr dünn bemalt, allerdings in einem Farbton, der sie deutlich von der Grundplatte abhebt. Mit einer dritten Farbe erhalten die pilzartigen Gebilde zwischen den Lappen eine erkennbar eigenständige Individualität. 

 

   Aus dieser rein formalen Betrachtung lässt sich der magische Reiz der Arbeit allerdings kaum begründen. Nun könnten wir eigentlich endlich weitergehen. Warum bleiben wir dennoch stehen? Ein Fragenkomplex, der nach Antworten sucht, ergibt sich aus dem eingesetzten Material. Die Fragilität der aufgearbeiteten Teile kennt man eher von Arbeiten aus Porzellan, nicht aber bei Paperclay aus schamottiertem Ton. Man sieht natürlich, dass diese Stabilität bei aller Fragilität auch in diesem Material möglich ist, würde die Künstlerin aber gerne fragen, wie genau sie das gemacht hat. Man ist quasi hin und her gerissen zwischen der Idee, es anzufassen, also haptisch zu begreifen, und der Sorge, es dabei zu beschädigen. Ein weiterer Reiz ergibt sich aus der Art des Farbauftrags. So etwas ist man von Keramik eher nicht gewohnt. Keramiken sind glasiert, haben zum Teil Dekormalerie, oder sie gefallen durch Fließ- oder Krakelee-effekte. Der Einsatz von Glasurfarben, die an Malereien mit Öl- oder Acrylfarben auf Leinwand erinnern, sind ungewöhnlich.

 

   Eine weitere mögliche Erklärung für die Magie, die von dieser Arbeit ausgeht, liegt in ihrer Dreidimensionalität. In summa fängt unser assoziativ arbeitendes Gerhirn sehr schnell an, in seinen dort abgespeicherten Erinnerungen zu kramen. Dabei gelangen alle möglichen Deutungen in unser Bewusstsein und damit an die Oberfläche. Diese Bilder der Erinnerung können reichen von einem Waldboden, aus dem neues Leben erwächst bis hin zu einer surrealistischen Darstellung eines leicht geöffneten Mundes, aus dem (wenig appetitlich) irgendetwas pilzartig herausquillt. Ebensogut können Erinnerungen an Wasserpflanzen hochkommen, an etwas exotisch Essbares, oder an die Überreste einer Mahlzeit, oder, oder... 

 

Diese Vielzahl der Antwortmöglichkeiten auf die Fragen, die sich beim Betrachten ergeben, erklären den magischen Reiz dieser Wandskulptur. Die Vielzahl der Antwortmöglichkeiten wächst noch mit einem sich ändernden Lichteinfall. Bei Kunstlicht kommen vielleicht Antworten hoch, die einem beim Betrachten in Sonnenlicht gar nicht in den Sinn kämen.

 

   Irgendwann kommt man dann auch noch auf die Idee, diese Wandskulptur in Gedanken hochkant, oder um 180° bzw. 270 ° gedreht aufzuhängen, wobei man ahnt, dass sich dann wieder ein anderer Eindruck ergibt mit neuen Fragen, aber auch neuen Antworten, wie die zum Schluss angefügten möglichen Hängevarianten zeigen. Mit jeder  Hängevariante verändert sich auch die assoziative Sogwirkung. Genau dieser Sogwirkung aber bedarf es, um mich als BetrachterIn vor einem abstrakten Kunstwerk festzunageln.

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