Mordillos Mannen kotzen

Mordillos Mannen kotzen

Kennen Sie das Piratenschiff von Guillermo Mordillo? Und was mag dieses Kinderbuch mit dem in diesem Beitrag gezeigten Relief zu tun haben.? Nun, diese gedankliche Verknüpfung hat einen rezeptionstheoretischen Grund. Die Tochter von B.Chr.K.Barten hat das Piratenschiffbuch von Mordillo als Kind heiß geliebt. Die optische Wirkungsenergie der Zeichnungen war offensichtlich groß. Die Illustrationen zu den Erlebnissen der acht dicknasigen Piratenmännchen in diesem Buch ohne Text haben sich daher tief in ihre Erinnerung gegraben. Von dort haben es ihre Synapsen ziemlich spontan wieder in ihre bewusste Erinnerung gehievt, als sie die hier besprochene Arbeit ihrer Mutter ca 40 Jahre später sah. Natürlich ist diese Wandskulptur 2020 von B.Chr.K.Barten ohne jeden gedanklichen Bezug zu diesem Kinderbuch als rein abstrakte Arbeit entstanden. Für die Tochter lag diese Interpretation aber offensichtlich mehr als nahe. Bei den Kugeln am Draht hat sie direkt an über die Reling kotzende Piraten gedacht (O-Ton der Tochter). Die assoziative Kraft, die von dieser Wandskulptur ausgeht - und die für sehr viele Arbeiten von B.Chr.K.Barten typisch ist - gehört zu jenen Merkmalen, die, neben anderen, grundsätzlich die Qualität abstrakter Kunst bestimmen. 

  

   Die optische Wirkungsenergie in dieser Arbeit geht einmal mehr vom gezielt eingesetzten Kollagecharakter des Materials aus. Für den Laien kaum erkennbar geht die teilweise deutlich dreidimensionale Strukturierung auf den Einsatz von 6 Drahtstiften zurück, die in die Grundplatte aus Paperclay gedrückt wurden, so dass deren andere, mit Kugeln bestückten Enden aus der Arbeitsfläche heraus ragen. Metall benötigt Paperclay (Ton mit Zellulosebeimischung) als Kombinationsmaterial. In normalem Ton geht zwischen diesen beiden Materialien spätestens beim Brand jede Festigkeit verloren. Durch diese Kombination eröffnen sich relativ filigrane Gestaltungsmöglichkeiten, die mit normalem Ton beim Arbeiten in der dritten Dimension sehr bald an Grenzen stoßen würden. Wenn man die Metallelemente mit Tonschlicker abdeckt, dann kann man diese mit Glasurfarben bemalen wie alle anderen Elemente des Reliefs,  auch, gerade so, als handle es sich um eine Leinwand.

 

   Die dreidimensionale Wirkung dieser Elemente eröffnen den BetrachterInnen nun ein weites Feld. Unsere Tochter erkannte darin offensichtlich das Piratenschiff mit Rudern bzw. Kanonen. Die darüber liegende, türkisähnliche Struktur verband sie mit den Segeln des Piratenschiffs. Die linearen grafischen Elemente, die die "Bootsstruktur" tragen, türmen sich für sie links vom Boot zu einer das ganze Schiff bedrohenden Welle auf. Die ganze Szenerie wird durch einen fahlen Vollmond erleuchtet, der am oberen Rand des Reliefs hängt und das Drama ausleuchtet. Für unsere Tochter erzählt diese Wandskulptur so eine ganze Geschichte, die zur Erinnerungswelt ihrer Kindertage gehört.

 

   Andere Assoziationen, wie etwa ein Mund mit roten Lippen und herausstehenden Zähnen, bei der die beiden darüber liegenden Elemente das Ganze zu einem Gesicht ergänzen, klingen für andere BetrachterInnen ähnlich überzeugend wie - eine weitere von BetrachterInnen genannte Variante - die Idee einer mondbeschienenen Landschaft. Diese letztgenannte  Assoziation wird vor allem getragen durch die Wahl der Glasur für das runde Element am oberen Rand. 

 

  Die das Relief in mehreren Bögen begrenzende Umrandung ist ein weiteres typisches skulpturales Merkmal vieler Arbeiten der Künstlerin. Sie bringen Bewegung in die Fläche, die ja auch in die dritten Dimension anklopft. Die Idee einer Welle auf hoher See wird dadurch natürlich unterstützt, so dass auch durch die Gestaltung des Randes die Assoziation einer möglicherweise bedrohlichen Atmosphäre sinnfällig erscheint.

 

Abstrakte Kunst lebt von und mit ihrer assoziativen Wirkung auf BetrachterInnen. In dieser Arbeit ist dieses Wirkungsgefüge auch deswegen besonders ausgeprägt, weil bei aller assoziativen Interpretation durch einzelne BetrachterInnen ein Rest von Rätselhaftigkeit in der darin erkannten Geschichte dennoch übrig bleibt. Wie immer enthält sich die Künstlerin jedweder hilfreichen Erläuterung, indem sie selbst ihrer Arbeit einmal mehr einen sinngebenden Titel verweigert. Fragt man sie, antwortet sie lapidar, es handle sich um eine Abstraktion. Nicht weniger und nicht mehr - Punkt!  Das Vergeben eines Titels verbleibt als Aufgabe bei BetrachterInnen, denen ein Titel hilfreich erscheint oder sogar wichtig ist. Titel gehören in den Bereich Begrifflichkeiten, ein Bereich, der uns evolutionär wichtig ist, denn Begrifflichkeiten benötigen wir nun einmal für bewusstes Denken. Abstrakte  Kunst appelliert jedoch direkt an unser Unterbewusstes und an in uns gespeicherte Erfahrungen. Die meisten in uns gespeicherten Erinnerungen sind emotionaler Natur. Abstrakte Kunst muss daher den Weg zu diesen in uns ruhenden Emotionserinnerungen finden, um wirkungsvoll sein zu können. Dieser Weg öffnet sich bei abstrakter Kunst nur über eine überzeugende formale Gestalt, nicht durch die Wahl eines konkreten Gegenstandes, der Neugier machen soll.

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